Verantwortung für Musik, Mensch und Erde
Ausbildung an der Kronberg Academy
Welche Aufgaben hat man als Ausbildungsstätte für hervorragend begabte musikalische Talente? Wofür tragen wir Verantwortung und wie werden wir ihr gerecht?
Raimund Trenkler, Gründer und Vorstandsvorsitzender der Kronberg Academy, und Friedemann Eichhorn, Direktor der Studiengänge und zweiter Künstlerischer Leiter, sprechen unter anderem über die Frage, wie auch die Kronberg Academy nachhaltig gesellschaftlichen und ökologischen Nutzen stiften kann. Bei der Antwort hilft Pablo Casals.
Raimund Trenkler und Friedemann Eichhorn (Foto: Andreas Malkmus)
Die Kronberg Academy möchte „Nachhaltigkeit“ zu einem zentralen Thema machen – auch in der Ausbildung. Folgt sie damit einem Trend?
Raimund Trenkler Zum Glück ist das ein Trend! Ich bin froh um jeden, der ihm folgt. Denn schließlich müssen wir uns doch alle den Tatsachen des Lebens um uns herum stellen – und unserer Verantwortung füreinander.
Auch als Musikinstitution?
RT Ja, natürlich. Auch als Musiker oder Musikinstitution sind wir Teil dieser Welt und dieser Gesellschaft…
Friedemann Eichhorn …in unserem Fall sogar einer internationalen Gemeinschaft.
RT Richtig. Und dass Künstler vielleicht sogar in besonderer Weise eine Verpflichtung haben, an andere zu denken, das hat uns ja Pablo Casals eindringlich nahegelegt: In der Vollversammlung der vereinten Nationen 1958 hat er alle Musiker dazu aufgerufen, ihre Kunst „in den Dienst der Menschheit zu stellen“.
Damals ging es aber noch nicht um Umwelt- und Klimaschutz…
RT Nein, zu dieser Zeit noch nicht. Pablo Casals ging es um nichts weniger als um den Weltfrieden und sein Appell damals war Teil seiner Friedensbotschaft – er wurde im gleichen Jahr für den Friedensnobelpreis nominiert. Ich kann es mir aber gar nicht anders vorstellen, als dass Pablo Casals sich heute auch für Umwelt- und Klimaschutz engagieren würde. Auch, weil es eine Voraussetzung ist für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt.
Pablo Casals ist ja ein wichtiger Impulsgeber für die Kronberg Academy: Sein 20. Todestag war der Anlass für das erste Cello-Festival 1993, mit dem sie quasi gegründet wurde.
RT Ja, die Haltung des Cellisten und des Menschen Pablo Casals hat mich schon immer sehr fasziniert. Deshalb wollte ich die Kronberg Academy in diesem Geist aufbauen. Aus dem, was er gesagt und getan hat leiten wir für uns heute ab: Auch jeder Musiker trägt eine Verantwortung für die Musik, für die Menschen und für die Erde. Also schon allein aus diesem Selbstverständnis unserer Institution heraus müssen wir uns für mehr Nachhaltigkeit einsetzen…
FE Ich bin auch der Ansicht, dass die Kronberg Academy nicht einfach einem „Trend folgt“, wenn sie sich mit Nachhaltigkeit beschäftigt. Weil nachhaltig zu denken für uns prinzipiell gar keine neue Haltung ist, zu der wir erst finden müssten.
Wo denkt und handelt denn die Kronberg Academy denn bisher „nachhaltig“?
FE Auf jeden Fall, wenn es um die Musik selbst geht – da ist Nachhaltigkeit schon immer unser Ziel und ein ganz wichtiges Prinzip! Die Kronberg Academy sieht es als ihre langfristige Verantwortung an, die klassische Musik zu pflegen und lebendig und authentisch zu erhalten. Und zwar für die Menschen heute und für die Menschen künftiger Generationen. Das ist ein Nachhaltigkeits-Ziel.
Wie macht sie das … nachhaltig?
FE Mit den Künstlerinnen und Künstlern, die hier auftreten und unterrichten. Der „Generationenvertrag“, von dem wir immer sprechen, ist eine sehr nachhaltige Methode: Die ältere Generation gibt ihr Wissen und ihre Werte an die nächste Generation weiter. Und wer hier ausgebildet wird, kommt später wieder und ist dann selbst Vorbild für Jüngere als auftretender Künstler oder als Lehrer.
RT Ja, gerade erst waren zum Beispiel Antoine Tamestit und Kirill Gerstein hier und haben mit unseren Studierenden gearbeitet – zwei sehr angesehene Künstler. Die waren beide früher als „Juniors“ bei Chamber Music Connects the World und sind sich schon 2004 hier begegnet. Das ist immer sehr bewegend, das zu erleben. Friedemann war ja ebenfalls „Junior“ bei Chamber Music Connects the World.
FE Ja, das war im Jahr 2000, ich erinnere mich genau und mit Freude an diesen ersten Kontakt zur Kronberg Academy. Inzwischen unterrichtet schon die zweite oder dritte Generation von CMCW hier in unseren Studiengängen.
RT So ist eine wachsende und immer wieder nachwachsende und sich erneuernde Wertegemeinschaft entstanden…
… also sozusagen sich selbst nährendes System…
FE … das natürlich immer wieder stark von außen befruchtet wird.
RT „Nachhaltig“ ist unsere Ausbildung aber auch, wenn es um die einzelnen jungen Musikerinnen und Musiker selbst geht. Damit meine ich: Wir dürfen die jungen Menschen nicht „verschleißen“ – und sie sich selbst natürlich auch nicht, nur weil sie schon sehr gefragt sind. Das ist ja immer die Gefahr, hier muss man die Grenzen erkennen und unbedingt respektieren.
Was heißt das genau?
FE Es darf nicht um „Auftritte um jeden Preis“ für eine schnelle Karriere gehen. Es hat ja auch gar nicht jeder hervorragend begabte junge Musiker automatisch Freude daran, unzählige Konzerte im Jahr zu spielen, möglichst überall auf der Welt. Hier sollte gut ausgewählt werden. Jeder ist anders. Für die Musik und die ganze Musikergemeinschaft ist es viel nachhaltiger, wenn diese Vielfalt der Persönlichkeiten auch gelebt wird – und sich in der Musik dann auch ausdrücken kann.
Das war für uns von Anfang an sehr wichtig. Wie auch Musikergesundheit überhaupt. Denn was unsere Studierenden tun, ist physisch quasi ein „Leistungssport“. Wir machen ihnen Angebote zu lernen, gut mit ihren Körpern umzugehen, damit diese nachhaltig „mitspielen“. Das soll noch weiter ausgebaut werden.
Und was ist neu? Was will die Kronberg Academy nun darüber hinaus Nachhaltiges tun?
RT Jetzt will sie mehr für die Umwelt tun. Wenn es um ökologische Nachhaltigkeit geht, hat wohl fast jeder, beinahe jedes Unternehmen, jede Behörde, jede Institution Handlungsbedarf – und natürlich auch wir.
Was wird sie also tun?
RT Wir sehen für uns zwei Wege. Der erste: Wir wollen versuchen, so wenig wie möglich Teil des Problems sein. Und der zweite: Wir wollen außerdem versuchen, zur Lösung beizutragen. Mit dem, was wir der Welt zu bieten haben.
Masterclasses Christian Tetzlaff (Foto: Patricia Truchsess von Wetzhausen)
Fangen wir mit dem ersten Weg an: so wenig wie möglich Teil des Problems sein – wie?
RT Der erste Weg ist recht klar: Wir wollen selbst – als Kronberg Academy – so umweltgerecht und natürlich so sozial gerecht und fair wie möglich handeln, also bei unseren Veranstaltungen, in unserem Ausbildungsbetrieb und in unserem Büro- und Arbeitsalltag. Dazu haben wir damit begonnen, ein Nachhaltigkeitsmanagementsystem einzuführen und zu leben. Dabei geht es natürlich vor allem darum, Ressourcen zu sparen. Also um das, worauf jeder von uns auch zu Hause achten sollte. Da müssen wir einiges umstellen – und wir werden da wahrscheinlich nicht von heute auf morgen perfekt sein.
Eine besondere Herausforderung, wenn es ums Ressourcensparen – und ganz konkret um die Einsparung von CO2 – geht, sind sicherlich die Reisen… vor allem die der Künstler, die nach Kronberg kommen?
RT Ja, das ist ein wichtiger Punkt. Denn die Kronberg Academy lebt von den internationalen Begegnungen, die hier so viel bewirken. Deshalb können und werden wir nicht darauf verzichten. Die Künstler kommen um das Reisen einfach nicht herum.
FE Aber wir sind dabei, hier so viel wie möglich zu verändern. Wir fragen zum Beispiel: Muss ein Künstler mit dem Flugzeug anreisen oder ist es auch mit der Bahn möglich? Welche Künstler sind ohnehin gerade in Europa oder sogar in Deutschland? Lassen sich Tätigkeiten in Kronberg und Konzertaktivitäten terminlich und von der Reiseplanung her noch besser verbinden? Oder wenn unsere Studierenden „on Tour“ zum Beispiel in der Carnegie Hall in New York spielen sollen, dann binden wir nicht zuletzt diejenigen ein, die in New York zu Hause sind. Wir gehen auch mehr und mehr dazu über, Probespiele, Bewerbungsgespräche, Meetings mit unseren Partnern online abzuhalten, so dass Reisen minimiert werden können.
Und in welcher Weise bemüht sich die Kronberg Academy darum, „sozial gerecht und fair“ zu sein?
FE Sozial gerecht und fair sein – das sollte ja eigentlich selbstverständlich sein… Chancengleichheit bei unseren jungen Musikerinnen und Musikern ist uns sehr wichtig. Das fängt schon bei der Frage an, wer überhaupt die finanziellen Möglichkeiten hat, bei uns zu studieren. Dank unseres Patronat-Systems spielt es zum Glück keine Rolle, ob ein junges Talent – egal woher es kommt – sich ein Studium an der Kronberg Academy leisten kann oder nicht. Da haben viele Menschen als private Förderer großartig Verantwortung übernommen, indem sie die Studienplätze finanzieren. Auch wenn wir unseren Studierenden Konzerte vermitteln, achten wir natürlich auf Chancengleichheit. Jeder kann sich durch hervorragende Leistungen für größere Auftritte empfehlen – zum Beispiel als Kammermusiker bei unseren „On Tour“-Projekten, oder sogar als Konzertsolist mit Orchester.
RT Apropos Chancengleichheit – wir wollen in Zukunft noch mehr Menschen Zugang zu Konzerterlebnissen ermöglichen. Auch das hat Pablo Casals uns übrigens vorgelebt: Er hat unter anderem eine Konzertreihe für einfache Arbeiter ins Leben gerufen und die auch über viele Jahre geführt. Wir freuen uns darauf, dass im Casals Forum in dieser Richtung noch viel mehr möglich werden wird.
Was denn zum Beispiel und für wen?
RT Zum Beispiel durch Konzertformate für Kinder und Familien, aber auch durch Angebote für sozial benachteiligte Menschen, auch mit niedrigen Konzertpreisen. Ein wichtiges Ziel ist es außerdem, dass wir Musik zu Menschen bringen, die sonst nur sehr schwer Zugang zu Musikerlebnissen haben. Weil es ihnen – zum Beispiel auch aus gesundheitlichen Gründen – schwerfällt in ein Konzert zu gehen. Mit der Frankfurter Universität planen wir ein Projekt mit Konzerten für Menschen, die an Demenz erkrankt sind.
FE In solche Initiativen wollen wir vor allem unsere Studierenden einbinden. In der Hoffnung, dass sie dadurch selbst – nachhaltig – ähnliche Ideen entwickeln oder weiterentwickeln.
Befinden wir uns jetzt schon auf dem „zweiten Weg“, über den die Kronberg Academy „einen Beitrag zu Lösung“ leisten möchte…?
RT Ja, denn wir wünschen uns, dass vom Casals Forum Impulse für ein nachhaltiges Leben und faires Miteinander ausgehen. Da spielen die eben beschriebenen Initiativen und Pläne natürlich eine wichtige Rolle. Aber es kann noch mehr geschehen: Hier können zum Beispiel Kongresse und Symposien stattfinden, die sich mit gesellschaftlichen Fragen oder Nachhaltigkeits-Themen beschäftigen.
FE Und natürlich: Öffentliche Proben! Man darf dabei die Musik selbst nicht unterschätzen! Vor allem wenn Kammermusik gespielt wird oder wenn das Chamber Orchestra of Europe probt, das ja hier seine Residenz nehmen wird. Wenn Menschen aus so vielen Ländern musikalisch miteinander arbeiten, dann kann jeder miterleben, wie ein respektvolles, gewinnbringendes menschliches Miteinander funktioniert. Das ist hohe Kultur, in jeder Hinsicht! Für uns einfach das beste Vorbild.
Und welche Rolle spielt die Kronberg Academy als Ausbildungsinstitution?
RT Für unseren Beitrag zur Lösung? Vielleicht sogar die wichtigste… Wir haben überlegt, was wir als Ausbildungs-Institution tun können, im Sinne einer „Third Mission“. Forschungseinrichtungen, Hochschulen, Unternehmen, die haben alle die Möglichkeit, zum Beispiel durch Innovationen oder Investitionen in neue Technologien dazu beizutragen, dass wir alle nachhaltiger leben können. Solche Möglichkeiten haben wir als Musik-Institution natürlich nicht.
FE Ja, aber wir haben eine andere Chance: nämlich dazu beizutragen, dass Menschen nachhaltiger leben wollen. Denn was wir haben, ist die Musik. Und das ist eine Kraft, die nachhaltiger nicht sein kann! Die lässt Menschen aufhorchen…
RT … und sie erreicht uns – wie ja inzwischen sogar neurowissenschaftlich erwiesen ist – viel unmittelbarer als jedes Argument. Ich glaube jedenfalls fest daran, dass Musik Menschen bewegen kann.
FE Unser großes Potenzial dabei sind die unglaublich guten jungen Musikerinnen und Musiker, die hier über mehrere Jahre studieren und die hier Werte vermittelt bekommen. Viele von ihnen werden einmal „musikalische Führungskräfte“ sein. Ob als Interpreten oder als Lehrer – die Chancen sind sehr groß, dass ihnen einmal überall auf der Welt zugehört wird.
Was will die Kronberg Academy also tun?
RT Wir wollen die jungen Ausnahme-Musikerinnen und -Musiker zu Künstlerpersönlichkeiten ausbilden, die sich ihrer Verantwortung für Musik, Mensch und Erde bewusst sind. Uns ist es wichtig, dass sie die Kronberg Academy mit dieser Haltung verlassen.
FE Das heißt: Wir wollen sie natürlich bestmöglich musikalisch begleiten. Aber gleichzeitig wollen wir sie dazu motivieren, genau das zu tun, was Pablo Casals ihnen quasi nahgelegt hat: Ihr Talent für ein friedliches Miteinander der Menschen einzusetzen – und auch für die Bewahrung der Natur.
RT Wir möchten sie motivieren, sich dazu Wege zu suchen. Und als Künstlerinnen und Künstler in diesem Sinne zu wirken, direkt oder indirekt, indem sie zum Beispiel auf gesellschaftliche Themen mit Musik aufmerksam machen und als Multiplikatoren wirken.
Das ist natürlich eine große Aufgabe. Wie soll das erreicht werden?
FE Dadurch, dass wir während des Studiums beginnen, diesen Weg gemeinsam mit ihnen zu gehen. Indem wir ihnen Wissen zu dem Thema in möglichst allen Facetten – also vor allem bezüglich sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit – vermitteln und mit ihnen darüber diskutieren. Aber auch indem wir entsprechende künstlerische Projekte mit ihnen gemeinsam entwickeln.
Und das soll ein fester Bestandteil der Ausbildung werden?
FE Ja, wir wollen „Nachhaltigkeit“ zum Thema in den Studiengängen und zum Teil des Curriculums machen. Damit fangen wir im nächsten Studienjahr an. Hierzu gehören Vorträge und Diskussionsrunden. Uns schweben auch Konzertprogramme vor, die Nachhaltigkeitsthemen musikalisch darstellen. Gerade haben wir etwa einen Kompositionsauftrag an Fazil Say vergeben. Dieses Streichsextett wird sich musikalisch mit dem Thema Umweltzerstörung auseinandersetzen und beim Kronberg Festival zur Eröffnung des Casals Forums uraufgeführt werden.